Ulm. Die 3. Ulmer Denkanstöße widmen sich dem Thema Gewalt: „Gesellschaft ohne Respekt?“ Zur Eröffnung sorgte Publizist Richard David Precht für Schlaumeierei, Weltverbesserungslust und Begeisterung. Respekt!
Das geistige Leben in Ulm ist offenbar so karg und übersichtlich, dass man die Denkanstöße mitzählen kann. Jetzt gibt es gerade die dritten, immerhin mit einem echten Denk-Star als Motor.
Im Ernst: Die Ulmer Denkanstöße sind eine jährliche Hirnschmalz-Werkstatt mit Vorträgen, Symposien und Podiumsdiskussionen, ermöglicht von Kulturamt, Universität und Sparda-Bank. Die dritte Auflage geht – prominent und substanziell besetzt – der Frage nach, ob die tägliche Gewalt unsere demokratische Gesellschaft untergräbt. Da geht es um Respekt als soziales Schmiermittel des Miteinanders. Angesehene Wissenschaftler sprechen über Konfliktforschung, Kriminologie und Gewalt in den Medien, Dr. Asfa-Wossen Prinz Asserate widmet sich seinem Lieblingsthema „Werte und Tugenden“. Doch zum Auftakt war Vorzeige-Philosoph und Erfolgs-Publizist Richard David Precht eingeladen worden, um die Massen zu mobilisieren – nicht nur gedanklich.
Hätte mans gedacht? Das Stadthaus platzte mit 650 Interessierten aus allen Nähten. Der smarte 45-Jährige ist seit seinem in 18 Sprachen übersetzten Buch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele“ nicht mehr aus den Bestsellerlisten, Talkshows und anderen Diskursmechanismen wegzudenken. Er widmet sich Disziplinen, die dem gemeinen Menschen gedanklich oft zu anstrengend sind, wie Philosophie und Hirnforschung, verkürzt deren Forschungsergebnisse und schließt sie kurz und macht, dass das alles gar nicht so schwer klingt. Das beruhigt die Zuhörer, denen er obendrein auch noch das Gefühl vermittelt, etwas zu lernen. Zum Beispiel, dass der Gerechtigkeitssinn aus dem Gleichgewichtssinn entstanden ist; auf einer Kernspinaufnahme ist sogar zu sehen, wo genau er unter dem Scheitel steckt.
„Pluralität und Zusammenhalt der Gesellschaft“ war Prechts Festvortrag überschrieben. Aber was heißt schon Festvortrag? Jackett aus, Ärmel hoch, los gings. „Was läuft da schief, dass Denker seit mehr als 2000 Jahren über Moral grübeln und die Welt noch immer kein Paradies ist?“, fragte Precht. Wo wir doch zudem in einer Gesellschaft leben, „die einen enormen Verbrauch an moralischen Appellen hat“? Precht ließ sich aus über die Verkettung von Vernunft und Moral, er belegte, dass der Mensch über angeborene Tötungshemmung und Mitgefühl verfügt. Und doch sorgt die Tatsache, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, auch für viel Schlechtes in der Welt.
Precht spitzt gern zu. Etwa so: Mutter Theresa hat aus Egoismus gehandelt. Und Investmentbänkern kann man keine Gier vorwerfen. Weil unser ganzes Wirtschaftssystem auf Gier basiert. Das Problem dabei: „Geld ist die einzige Sache, die ihre Qualität aus ihrer Quantität zieht“, und darunter leide das Soziale. „Wir brauchen also andere Belohnungssysteme“, folgerte Precht.
Letztlich drehe sich alles um Anerkennung. Die Gefährlichkeit der Welt rühre „vom Mangel an Selbstwertgefühl und fehlgeleitetem Altruismus“ her. Die Politik sei leider ohnmächtig, „und 50 Euro mehr oder weniger Hartz IV machen die Gesellschaft nicht schlechter oder besser“. Also ruft Precht zu bürgerschaftlichem Engagement auf: für mehr Bildung, gegen die Kauf- und Neidtyrannei. Warum das funktioniere? „Weil man sich dann selbst belohnt, indem man Gutes tut.“
Das klingt toll und wird mit Applaus belohnt. Freilich: „Allen Menschen ist das Denken erlaubt“, zitierte Precht Curt Goetz, „aber vielen bleibt es erspart.“ Doch vielleicht, legte er dar, spielt das Denken gar keine so große Rolle in den Fragen der Moral. Ach, welch Erkenntnis für „Denkanstöße“.
Erscheinungsdatum: Samstag, 27. Februar 2010
Quelle: Südwest Presse